22 Vermitteln, verleiten, polarisieren: Religiöse Kräfte in der Politik

Autor: Samuel Jackisch

Vermitteln, verleiten, polarisieren: Religiöse Kräfte in der Politik

Kirche und Staat voneinander zu trennen, gilt als Errungenschaft der Moderne. Alle Macht soll vom Volke ausgehen, nicht „von Gottes Gnaden“.

Insbesondere in wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krisenzeiten inszenieren sich politische Akteure dennoch als Erlöserfigur oder verweisen auf religiöse Identitäten. Regelmäßig konsultieren sie neben weltlichen auch geistige Oberhäupter; nehmen religiöse Institutionen, NGOs und Lobbygruppen Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse.

Die EU vereint gut ein Dutzend Religionen

Bei der Europäischen Union, die vom laizistischen Frankreich bis zur skandinavischen Staatskirche ein gutes Dutzend Religionen vereint, vertreten Kirchen und Konfessionen ihre Interessen im Brüsseler Gesetzgebungsprozess. Die Vereinten Nationen in New York behandeln Religionen als ursächlichen Faktor für Kriege und Konflikte, deren Folgen sie in Zusammenarbeit mit religiösen Hilfsorganisationen zu lindern suchen. Christlich, muslimisch, jüdisch – auch in der deutschen Politik tobt ein Definitionskampf um die gemeinsamen Grundlagen für das Zusammenleben.

Als Heilsversprechen oder Bedrohungsszenario, moralische Richtschnur oder Mittel zur Abgrenzung – auch in unserer säkularen Ordnung sind Religion und Macht aufeinander angewiesen. Der Staat garantiert die Freiheit der Religion und lädt sie im Gegenzug ein zu regelmäßigen Gastauftritten.

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Sendung als Podcast

Download Funkkolleg Religion Macht Politik (22), MP3-Audioformat, 24:49 Min., 46.5 MB

Sendung in hr-iNFO: 11.05.2019, 11:30 Uhr

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Zusatzmaterial

  1. Die Kirchen in Deutschland und die Politik
  2. Religiöse Akteure in der EU
  3. Einfluss religiöser Akteure in der internationalen Politik

1. Die Kirchen in Deutschland und die Politik

In Deutschland sind es vor allem die beiden großen Kirchen, die auf vielfältige Weise mit dem Staat zusammenarbeiten und versuchen, auf politische Prozesse Einfluss zu nehmen. Das deutsche politische System lässt diesen Einfluss zu, erlaubt und fördert sogar den Austausch und auch die Kooperation mit den religiösen Akteuren in Handlungsfeldern wie dem Gesundheits- und Bildungssystem. Diese Rolle der Kirchen ist jedoch nicht unumstritten: Handelt es sich bei ihnen lediglich um Lobbyisten, die partikulare Interessen ihrer religiösen Gemeinschaft vertreten – und die einen unverhältnismäßig hohen Einfluss haben; oder ist ihr Beitrag unerlässlich, weil er sinnstiftende und moralische Ressourcen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt bereitstellt, welche die Politik nicht selbst generieren kann? Die Antworten auf diese Frage reichen von radikaler Kirchenkritik bis zu emphatischer Verteidigung.

Misik, Robert/Schneider, Nikolaus (2013): Plädoyer für (keine) Religion, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 24/2013, online unter: http://www.bpb.de/apuz/162906/plaedoyer-fuer-keine-religion

Schieder, Rolf (2007): Die Zivilisierung der Religionen als Ziel staatlicher Religionspolitik?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 6/2007, online unter: http://www.bpb.de/apuz/30674/die-zivilisierung-der-religionen-als-ziel-staatlicher-religionspolitik?p=0

Wirtschaftswoche (2015): Interview mit Kirchenkritiker Carsten Frerk, online unter: https://www.wiwo.de/politik/deutschland/carsten-frerk-ueber-die-privilegien-der-kirchen-der-staat-macht-sich-zum-devoten-deppen/12559868.html

Al-Serori, Leila et al. (2018): Große Kirche, kleiner Staat?, online unter: https://www.sueddeutsche.de/politik/religion-und-laizismus-grosse-kirche-kleiner-staat-1.3962457

Singhammer, Johannes (2017): Geht auseinander!, in: Die Zeit 08/2017, online unter: https://www.zeit.de/2017/08/kirche-politik-trennung-saekular-staat

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2. Religiöse Akteure in der EU

Auch in der EU ist eine Vielzahl von religiösen Akteuren aktiv, um politische Prozesse und Entscheidungen zu beeinflussen; ihre Startvoraussetzungen sind jedoch anders als im deutschen politischen System, in dem zumindest die großen christlichen Kirchen bestimmte Vorzüge genießen. In der EU gelten sie als eine Interessengruppe unter vielen – sind aber durchaus einflussreich.

Gerda-Henkel-Stiftung (2014): Der besondere Status der Kirchen in der EU (Podiumsdiskussion), online unter: https://lisa.gerda-henkel-stiftung.de/audio_der_besondere_status_der_kirchen_in_der_eu?nav_id=5210

rbb kulturradio (17.03.2019): Liturgie und Lobby, online unter: https://mediathek.rbb-online.de/radio/Gott-und-die-Welt/Liturgie-und-Lobby/kulturradio/Audio-Podcast?bcastId=48865904&documentId=61206126 [inkl. Audio]

Belafi, Matthias (2017): Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Weidenfeld, Werner/Wessels, Wolfgang (Hrsg.): Jahrbuch der Europäischen Integration 2017, Berlin: Institut für Europäische Politik, online unter: http://iep-berlin.de/wp-content/uploads/2017/12/23_Kirchen-und-Religionsgemeinschaften_Belafi_Freigabe_final.pdf

Katscher, Laura (2012): Die Kirchen und die Europäische Union – Kirchliche Interessenvertretung im europäischen Mehrebenensystem, online unter: http://tuprints.ulb.tu-darmstadt.de/3313/1/Die%20Kirchen%20und%20die%20Europ%C3%A4ische%20Union_Kirchliche%20Interessenvertretung%20im%20europ%C3%A4ischen%20Mehrebenensystem_Dissertation_Laura%20Katscher.pdf

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3. Einfluss religiöser Kräfte in der internationalen Politik

1999 schrieb der berühmte Religionssoziologe Peter L. Berger in einem Aufsatz, dass die gesamte Säkularisierungstheorie – an der er selbst in den 1960er und 1970er Jahren maßgeblich beteiligt war – im Wesentlichen falsch gewesen sei. Die Welt, so Berger, sei heute so leidenschaftlich religiös wie sie es immer gewesen ist. Diese These ruft heute zunächst die Schreckensbilder religiös konnotierter Gewalt hervor, wie sie uns in terroristischen Netzwerken oder in Bürgerkriegen entgegentritt. Doch das ist nur ein kleiner Ausschnitt der religiösen Gegenwart. Vielmehr engagieren sich immer mehr religiöse Gemeinschaften, Organisationen und Verbände in der internationalen Politik in Themenbereichen wie Entwicklung, Menschenrechte, Frieden, Bildung oder Klimawandel. Und der Papst ist längst ein Global Player …

Berger, Peter L. (1999): The Desecularization of the World: A Global Overview. In Peter. L. Berger (Hg.), The Desecularization of the World. Resurgent Religion and World Politics, Grand Rapids: Ethics and Public Policy Center/Wm. B. Eerdmans Publishing Co, S. 1-18.

Marshall, Katherine (2013): Global Institutions of Religion: Ancient Movers, Modern Shakers. London: Routledge.

Baumgart-Ochse, Claudia/Wolf, Klaus Dieter (Hrsg.) (2019): Religious NGOs at the United Nations. Polarizers or Mediators?, Milton Park/New York, NY: Routledge.

Moksnes, Heidi/Melin, Mia (2013): Faith in Civil Society: Religious Actors as Drivers of Change, Uppsala University: Uppsala, online unter: http://uu.diva-portal.org/smash/get/diva2:729484/FULLTEXT01.pdf

Stensvold, Anne (2018): The United Nations – what has religion to do with it?, online unter: https://blogs.lse.ac.uk/religionglobalsociety/2018/04/the-united-nations-what-has-religion-got-to-do-with-it/

Hasselbach, Christoph (2008): Päpstlicher Einfluss auf das Weltgeschehen, online unter: https://www.dw.com/de/p%C3%A4pstlicher-einfluss-auf-das-weltgeschehen/a-3275788

Domradio (2018): Welchen Einfluss evangelikale Kirchen auf die Weltpolitik haben, online unter: https://www.domradio.de/themen/kirche-und-politik/2018-10-26/sie-bieten-konkrete-loesungen-fuer-konkrete-probleme-welchen-einfluss-evangelikale-kirchen-auf-die Absatz

Reuscher, Constanze (2014): Wie sich der Papst in die Weltpolitik einmischt, online unter: https://www.welt.de/politik/ausland/article132280262/Wie-sich-der-Papst-in-die-Weltpolitik-einmischt.html

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