07 Herrschaftsanspruch: Religionen und ihr Verhältnis zur Macht

Autorin: Bettina Emmerich

Herrschaftsanspruch: Religionen und ihr Verhältnis zur Macht

Die aufgeklärten modernen demokratischen Gesellschaften sind stolz auf sich: Wir haben uns von den Fesseln der Religion befreit und begründen den Staat auf die universalen Menschenrechte und die Vernunft. Über allem steht das Recht.

Gesetze werden von Parlamenten gemacht und der Verstoß gegen sie wird im Namen des Volkes verurteilt. Alle Macht geht vom Volke aus. Legitimität kommt nicht vom Papst, von Gott oder sonst einer spirituellen Macht. Es gilt die Herrschaft des Rechts – und nicht die Macht des Stärkeren. Hat sich also die Macht von der Religion gelöst?

Wie kommt zum Beispiel die Eidesformel „so wahr mir Gott helfe“ in die Vorlage für die Vereidigung einer Bundeskanzlerin? Warum wird der Hinweis „ich bin ein gläubiger Mensch“ gleich gesetzt mit: der hat klare moralische Kategorien?

Vor dem Gesetz sind alle Religionen gleich

Religion als reine Privatsache muss sich dem Grundgesetz beugen, das keine bessere und keine schlechtere Religion kennt.

Was aber heißt es, Macht auszuüben, zu gestalten und Grenzen zu setzen? Ein Anspruch, den auch Religionen haben. Religiöse Debatten toben dort, wo Entscheidungen getroffen werden müssen, bei denen Werte im Gegensatz zueinander stehen: Abtreibung, Scheidung, Gleichberechtigung, Sterbehilfe, Soziale Gerechtigkeit und Zuwanderung. Wird Religion in der modernen Gesellschaft über diesen Umweg zum Ausschlussprinzip?

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Sendung als Podcast

Download Funkkolleg Religion Macht Politik (07), MP3-Audioformat, 24:59 Min., 45.7 MB

Sendung in hr-iNFO: 15.12.2018, 11:30 Uhr

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Zusatzmaterial

  1. Zitierte Literatur
  2. Konflikt- und Gewaltpotenzial von Religionen
  3. Staat und Religion in Deutschland
  4. Der Dreißigjährige Krieg

1. In der Folge zitierte Literatur

Beck, Ulrich (2008): Der eigene Gott: Von der Friedensfähigkeit und dem Gewaltpotential der Religionen, Frankfurt: Suhrkamp – Verlag der Religionen.

Beck, Ulrich (2007): Glaube: Gott ist gefährlich, in: Die Zeit 52/2007.

Böckenförde, Ernst-Wolfgang (1976): Staat, Gesellschaft, Freiheit. Studien zur Staatstheorie und zum Verfassungsrecht, Frankfurt: Suhrkamp.

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2. Konflikt- und Gewaltpotenzial von Religionen

Mit dem Konflikt- und Gewaltpotenzial von Religionen befassen sich sehr viele Studien aus Soziologie, Politik- und Religionswissenschaft. Sie reichen von quantitativen Datensätzen, die sich mit religiös konnotierten Konflikten weltweit oder in bestimmten Weltregionen befassen, bis hin zu qualitativen Untersuchungen einzelner Fälle – mit höchst unterschiedlichen theoretischen Ansätzen und Ergebnissen. Einen knappen Überblick über die Forschung aus der Friedens- und Konfliktforschung bieten:

Baumgart-Ochse, Claudia (2016): Religionskonflikte zu Beginn des 21. Jahrhunderts, online unter: http://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/228710/religionskonflikte-zu-beginn-des-21-jahrhunderts

Hasenclever, Andreas/ De Juan, Alexander (2007): Religionen in Konflikten, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft 6/2007, online unter: http://www.bpb.de/apuz/30671/religionen-in-konflikten-eine-herausforderung-fuer-die-friedenspolitik?p=all

Der Religionswissenschaftler und –soziologe Hans G. Kippenberg untersucht Gewalt als religiöses Gemeinschaftshandeln an einer Reihe von Ereignissen und Konfliktverläufen weltweit seit den 1970er Jahren, darunter die Revolution im Iran 1979; die gewaltsame Konfrontation der adventistischen Gemeinschaft der Davidianer in Waco, Texas, mit den US-Behörden; die religiösen Aufladungen des Israel-Palästina Konflikts auf Seiten beider Konfliktparteien; und den Angriff Al-Kaidas auf die USA am 11. September 2001.

Kippenberg, Hans G. (2008): Gewalt als Gottesdienst. Religionskriege im Zeitalter der Globalisierung, München: C.H. Beck, online unter: http://hanskippenberg.de/wp-content/uploads/2017/01/Gewalt-als-Gottesdienst-Beck.pdf

Das jährlich erscheinende Friedensgutachten der deutschen Friedens- und Konfliktforschungsinstitute widmet 2018 sein Kapitel „Transnationale Sicherheitsrisiken“ dem internationalen Terrorismus und seinen Auswirkungen auf Europa und Deutschland. Dabei wird auch der behauptete Zusammenhang zwischen Flucht, Migration und Terrorismus in den Blick genommen.

Bethke, Felix S/Daase, Christopher/Junk, Julian (2018): Transnationale Sicherheitsrisiken. Der innere Frieden in Gefahr, in: Bonn International Center for Conversion, Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, Institut für Entwicklung und Frieden: Friedensgutachten 2018. Kriege ohne Ende. Mehr Diplomatie, weniger Rüstungsexporte, Münster: LIT Verlag, S. 125-143, online unter: www.friedensgutachten.de

Der Islamismus-Experte Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin gibt einen aktuellen Überblick über islamistischen Terrorismus in der arabischen Welt und wie er eingedämmt werden könnte.

Steinberg, Guido (2017): Islamistischer Terrorismus in der arabischen Welt. Ausbreitung und Eindämmung, in: Volker Perthes (Hg.): Krisenlandschaften. Konfliktkonstellationen und Problemkomplexe internationaler Politik, SWP Studie, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, S. 43-46, online unter: https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2017S01_ild.pdf#page=43 

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3. Staat und Religion in Deutschland

Der deutsche Staatsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde, der das sogenannte Böckenförde-Dilemma geprägt hat, dass der freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebe, die er selbst nicht garantieren könne, hat in einem Aufsatz die Bedeutung der Säkularisierung für die Herausbildung des modernen Staats konzise herausgearbeitet.

Böckenförde, Ernst-Wolfgang (1991): Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation. In: Ernst-Wolfgang Böckenförde (Hrsg.): Recht, Staat, Freiheit – Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Frankfurt: Suhrkamp, S. 92–114.

Mit der Religionsfreiheit und dem religionsverfassungsrechtlichen Neutralitätsgebot des deutschen Staates befasst sich ein Beitrag des Juristen Günter Krings, Parlamentarischer Staatsekretär im Bundesministerium des Inneren.

Krings, Günter (2017): Was bedeutet Religionsfreiheit heute? in: Konrad-Adenauer-Stiftung (Hrsg.): Monitor Religion und Politik. Ausgewählte Beiträge 2017, Sankt Augustin: KAS, S. 41-53, online unter: https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=26ef0264-bacb-cef5-6406-791c6f987024&groupId=252038

Ein Konfliktfeld im Bereich des Verhältnisses von Staat und Religion ist angesichts der Pluralisierung der religiösen Zusammensetzung der Bevölkerung die Organisation staatlicher schulischer Bildung im Bereich Religion. Insbesondere die Vermittlung des Islams an Schulen ist ein viel diskutiertes Thema.

Khorchide, Mouhanad (2009): Der islamische Religionsunterricht zwischen Integration und Parallelgesellschaft. Einstellungen der islamischen ReligionslehrerInnen an öffentlichen Schulen, Wiesbaden: Springer VS.

Mediendienst Integration (2018): Religion an Schulen. Islamischer Religionsunterricht in Deutschland, online unter: https://mediendienst-integration.de/fileadmin/Dateien/MDI_Informationspapier_islamischer_Religionsunterricht_April_2018.pdf

Deutschlandfunk (Tag für Tag, 30.04.2015): Islamunterricht. Herausforderung für das Bildungssystem, online unter: https://www.deutschlandfunk.de/islamunterricht-herausforderung-fuer-das-bildungssystem.886.de.html?dram:article_id=318561

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4. Der Dreißigjährige Krieg

Der Dreißigjährige Krieg wird heute oft als Prototyp religiöser Konflikte gesehen, die erst mit dem Westfälischen Frieden von 1648 überwunden werden konnten. Daher gilt der Friedensschluss von Osnabrück und Münster als Geburtsstunde eines internationalen Systems moderner, souveräner Nationalstaaten. Angesichts des ausufernden, vielfach religiös aufgeladenen Kriegs in Syrien ist jüngst auch diskutiert worden, ob der Westfälische Frieden ein Modell für die aktuellen Konflikte im Nahen Osten sein könnte. Doch ging es im Dreißigjährigen Krieg wirklich um den Glauben – oder doch nur ganz profan um die Macht? Oder wie hängen beide zusammen?

Kampmann, Christoph (2008): Europa und das Reich im Dreißigjährigen Krieg. Geschichte eines europäischen Konflikts, Stuttgart: Kohlhammer.

Gotthard, Axel/Burkhardt, Johannes (2017): Kampf um Glauben oder Kampf um Macht?, in: ZEIT Geschichte 5/2017, online unter: https://www.zeit.de/zeit-geschichte/2017/05/glaube-macht-debatte-gruende-dreissigjaehriger-krieg

Schmidt, Georg (2018): Deutungen des Dreißigjährigen Krieges. Mythos, Legenden und Einsichten, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft 30-31/2018, online unter: http://www.bpb.de/apuz/272822/deutungen-des-dreissigjaehrigen-krieges-mythos-legenden-und-einsichten

Interview mit Georg Schmidt in ZEIT Geschichte 5/2017, online unter: https://www.zeit.de/zeit-geschichte/2017/05/dreissigjaehriger-krieg-westfaelische-frieden-syrien-georg-schmidt-interview

Wilson, Peter (2018): Gründe und Verlauf einer europäischen Tragödie, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft 30-31/2018, online unter: http://www.bpb.de/apuz/272818/gruende-und-verlauf-einer-europaeischen-tragoedie?p=0

Zusatzmaterialien als PDF zum Herunterladen

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