16 Ein Volk, ein Land? Israel und jüdische Identität

Autorin: Lissy Kaufmann

Ein Volk, ein Land? Israel und jüdische Identität

Im Mai 1948 rief David Ben Gurion die Unabhängigkeit Israels aus – ein kleines Wunder war geschehen. Nach fast 2000 Jahren in der Diaspora hatte das jüdische Volk wieder einen Staat.  Allerdings bis heute ohne Verfassung – auch deshalb, weil Israel sich mit der Definition als jüdischer, demokratischer Staat schwertut.

Zum einen betrifft die Frage Juden selbst: Säkulare Juden oder jene aus den Reformgemeinden beklagen, Israel sei das einzige westliche Land, in dem Juden nicht so leben dürften, wie sie wollen: Die Orthodoxen bestimmen wichtige Bereiche des Lebens. Staatliche Eheschließungen gibt es nicht. Die Strengreligiösen haben in Israel großen politischen Einfluss in der Knesset, durch eigene Parteien. So gilt am Schabbat weiterhin: keine öffentlichen Verkehrsmittel und die Läden bleiben weitestgehend geschlossen.

Alles in Israel hat religiöse Wurzeln

Die jüdische Siedlungsbewegung im besetzten Westjordanland begründet ihre Aktivitäten in den Gebieten ebenfalls religiös: Das Land vom Jordan bis zum Mittelmeer sei den Juden in der Bibel versprochen worden. Die Rechte der Palästinenser? Nachrangig, sagen die Siedler und sie erhalten mehr und mehr Einfluss.

Die Flagge, das Staatswappen, die Hymne – alles in Israel hat religiöse Wurzeln. Rund 20 Prozent der Bevölkerung sind nicht jüdisch. Die Problematik wird durch den jüngsten Entwurf des „Nationalgesetzes“ („nation-state bill“) verschärft: Danach sollen künftig jüdische Gemeinden Menschen aufgrund ihrer Religion oder Nationalität ausschließen dürfen, Arabisch soll nicht länger Amtssprache sein. Wird es so weit kommen?

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Sendung als Podcast

Download Funkkolleg Religion Macht Politik (16), MP3-Audioformat, 24:54 Min., 45.6 MB

Sendung in hr-iNFO: 09.03.2019, 11:30 Uhr

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Zusatzmaterial

  1. Israel: der jüdische und demokratische Staat?
  2. Zionismus: die jüdische Nationalbewegung
  3. Religion(en) in Israel
  4. Der israelisch-palästinensische Konflikt

1. Israel: der jüdische und demokratische Staat?

Das Verhältnis von Staat und Religion ist in Israel von Beginn an ambivalent gewesen: In seiner Unabhängigkeitserklärung von 1948 verbürgt der Staat Israel all seinen Bürgern soziale und politische Gleichberechtigung unabhängig von Religion, Rasse und Geschlecht; zugleich beruft sich die Erklärung auf die jüdische Geschichte und Tradition als Fundament der Staatsgründung. In verschiedenen Grundgesetzen, die 1985 und 1992 verabschiedet wurden, ist dann erstmals vom „jüdischen und demokratischen“ Staat die Rede. Diese kurze Formel beinhaltet viele der Dilemmata, mit denen das politische System Israels bis heute zu kämpfen hat. Kann ein Staat, der eine ethnisch-religiös definierte Bevölkerungsgruppe als Trägerin der nationalstaatlichen Kultur hervorhebt, zugleich ein demokratischer Staat sein? Welche Rolle soll Religion in diesem Staat spielen, über welche Angelegenheiten darf die religiöse Bürokratie entscheiden? Wie erlangt man die Staatsbürgerschaft? Diese Fragen werden in der akademischen Literatur zum politischen System Israels ausführlich und sehr kontrovers diskutiert.

Einen sehr guten Überblick über Israels Staat und Gesellschaft gibt die 2018 erschiene Ausgabe der „Informationen zur politischen Bildung“ der Bundeszentrale für politische Bildung unter dem Titel „Israel“:

Bundeszentrale für politische Bildung (2018): Israel. Informationen zur politischen Bildung, Nr. 336/2018. Online unter: http://www.bpb.de/izpb/268885/israel

Darin ist für das Funkkolleg insbesondere der Aufsatz von Daniel Mahla von Interesse:

Mahla, Daniel (2018): Jüdisch und demokratisch? Religion und Staat in Israel, in: Bundeszentrale für politische Bildung: Israel. Informationen zur politischen Bildung, Nr. 336/2018, online unter: http://www.bpb.de/izpb/268885/israel

Timm, Angelika (2008): Die Gründung des Staates Israel, online unter: http://www.bpb.de/internationales/asien/israel/44995/gruendung-des-staates-israel

Neuberger, Benyamin (2008): Staatsaufbau und politisches System, online unter: http://www.bpb.de/internationales/asien/israel/45024/das-politische-system

Neuberger, Benyamin (2008): Die Bedeutung der Religion im Staat Israel, online unter: http://www.bpb.de/internationales/asien/israel/45108/staat-und-religion

WDR 5 (Tiefenblick, 13.05.2018): Juden und Judentum – Was ist Jüdisch am Jüdischen Staat?, online unter: https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr5/wdr5-tiefenblick/audio-juden-und-judentum—-was-ist-juedisch-am-juedischen-staat-102.html

Schneider, Richard (18.04.2018): Zerstritten, gespalten, zerrissen, online unter: https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-04/israel-70-jahre-benjamin-netanjahu-nahost-konflikt-zionisten

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2. Zionismus: die jüdische Nationalbewegung

Die ersten Zionisten an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert waren überwiegend säkulare Juden, die einerseits unter dem Eindruck der zunehmenden Bedrohung durch den grassierenden Antisemitismus in Europa standen, andererseits die liberalen und nationalstaatlichen Ideen ihrer Epoche aufnahmen und für ihre eigene Vision eines jüdischen Staates adaptierten. Den gemeinsamen Bezugspunkt für das zionistische Projekt bildete dennoch die jüdische Religion und Geschichte. In den 1960er und 1970er Jahren erstarkte dann der sogenannte religiöse Zionismus, der religiöse Ideen wie Exil, Erlösung und das Kommen des Messias explizit mit dem Schicksal des jüdischen Staates verband. Aus dem religiösen Zionismus ging die Siedlerbewegung hervor.

Brenner, Michael (2008): Was ist Zionismus? Eine Einführung, online unter: http://www.bpb.de/internationales/asien/israel/44941/was-ist-zionismus

Brenner, Michael (2016): Israel. Traum und Wirklichkeit des jüdischen Staates. Von Theodor Herzl bis heute. München: C.H. Beck.

Deutschlandfunk Kultur (06.05.2018): „Die Idee des Zionismus ist ein Angriff auf unsere Religion“, online unter: https://www.deutschlandfunkkultur.de/ultra-orthodoxe-gegen-den-staat-israel-die-idee-des.1278.de.html?dram:article_id=417316

Hagemann, Steffen (2016): „Zwischen Land, Nation und Thora: Zur Identitätsarbeit der religiösen Siedlerbewegung.“ In: Oliver Hidalgo, Ines-Jacqueline Werkner (Hg.): Religiöse Identitäten in politischen Konflikten, Wiesbaden: Springer VS, S. 241-264. 

Baumgart-Ochse, Claudia (2010): Die politisierte Religion der jüdischen Siedler, in: Dirk Ansorge (Hg.), Der Nahostkonflikt – politische, religiöse und theologische Dimensionen, Stuttgart: Kohlhammer, S. 29-39.

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3. Religion(en) in Israel

Die religiöse Landschaft in Israel ist überaus vielfältig: Neben verschiedenen Ausprägungen des Judentums – von den sogenannte „Haredim“, den Ultra-Orthodoxen, bis hin zu den eher traditionell eingestellten Juden – gibt es Christen, Drusen, Muslime, Bahai und viele andere religiöse Gemeinschaften im Land. Etwa die Hälfte der Juden in Israel, die etwa 75 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht, bezeichnet sich selbst dagegen als säkular.

Brenner, Michael (2015):  Eine gespaltene Gesellschaft: Zur Rolle der Religion in Israel, Bertelsmann Stiftung, 1-17. Online unter: https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/Gespaltene_Gesellschaft.pdf

Das Pew Research Center hat 2016 Umfrageergebnisse zur Religiosität in Israel und der engen Verzahnung mit politischen Einstellungen veröffentlicht. In einem Video erläutern und kommentieren Expertinnen und Experten die Studie.

 Pew Research Center (2016): Israel’s Religiously Divided Society, online unter: http://www.pewforum.org/2016/03/08/israels-religiously-divided-society/

Pew Research Center (2016): Video: Israel’s Religiously Divided Society, online unter: http://www.pewforum.org/2016/10/13/video-israels-religiously-divided-society/

Ein Gespräch mit der Religionshistorikerin Edna Brocke über die religiöse Pluralität in Israel:

Deutschlandfunk (Tag für Tag, 02.10.2015): Die Rolle der Religion in Israel, online unter: https://www.deutschlandfunk.de/juedische-identitaet-die-rolle-der-religion-in-israel.886.de.html?dram:article_id=332616

REMID (2003): Informationsplattform Religion: Richtungen im Judentum, online unter: https://www.remid.de/informationsplattform-religion-richtungen-im-judentum/

Rojkov, Alexandra (2013): Schalom, ich bin raus, in: Zeit Campus 6/2013, online unter: https://www.zeit.de/campus/2013/06/israel-orthodox-studium

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4. Der israelisch-palästinensische Konflikt

Die Literatur zum Nahost-Konflikt füllt viele Regalmeter – hier nur einige Empfehlungen zum Einstieg.

Johannsen, Margret (2017): Der Nahost-Konflikt. Eine Einführung, Wiesbaden: Springer VS.

Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (2019): Der Nahostkonflikt [Themenseite], online unter: https://www.lpb-bw.de/nahostkonflikt.html

Bundeszentrale für politische Bildung (2019): Geschichte des Nahostkonflikts [Themenseite], online unter: http://www.bpb.de/internationales/asien/israel/45042/nahostkonflikt

Johannsen, Margret (2017): Konfliktporträts: Nahost, online unter: http://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54655/nahost

Busse, Jan/Stetter, Stephan (2018): Die Jerusalemfrage im israelisch-palästinensischen Konflikt, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (15-16/2018), online unter: http://www.bpb.de/apuz/267339/die-jerusalemfrage-im-israelisch-palaestinensischen-konflikt?p=all

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